Na, das ging ja mal wieder gründlich in die Hose, der 2017er ESC. Nein, das Siegerlied ist voll okay, ’ne wirklich wundervolle Darbietung qualitativ hochwertiger Musik. Ob man Salvador Sobral nun mag oder nicht, der Song „Amar pelos dois“ ist handwerklich verdammt gut gemacht, eine Hommage an Filmmusiken der 1950er Jahre, verknüpft mit modernen Spieltechniken und einem so noch nicht gehörten fragilen Gesang. Eine beeindruckende Mischung. Nein, das ist es nicht, was ich meine.
Ich meine das Abschneiden der „Musiknation Deutschland“. Auch hier bitte kein Herumgehacke auf Levina, die nun wirklich nichts dafür kann. Schließlich hat sie sich nicht selbst in diese unpassende Darbietungsform von Musik gepresst, in dem Glauben, die „alten Hasen des ESC“ würden ihr mit guten Ratschlägen zur Seite stehen anstatt sie zum Gespött werden zu lassen. Ihre Stimme ist gut, doch aus einer drittklassigen Nummer kann eine erstklassige Stimme auch nur eine zweitklassige Darbietung erschaffen. Musikalisch-künstlerische Arithmetik sozusagen. Doch das nutzt Levina auch nichts, die Schmach und Schmäh bekommt sie ab und nicht die Betonköpfe hinter den deutschen Kulissen.
Was haben uns die ESC der vergangenen Jahre gelehrt? Unkonventionalität ist Trumpf! Performe das Unerwartete, schwimme künstlerisch gegen den Strom. Lass den Vierviertel-Takt mal außen vor und – es lebe 2017 – jodele einfach mal wieder. Natürlich ist das für die Entscheidungsträger der ARD, die ja sonst nur die deutschen TV-Senioren mit Florian Silbereisen und der Fake-Folklore bedienen müssen, eine viel zu hohe Herausforderung. Wer schon Discofox als Volksmusik verkauft, dem fehlt die musikalische Weitsicht, um ein Fest wie den ESC bedienen zu können.
Da schreibt die WELT am 15. Mai 2017 sehr treffend: „Seit Stefan Raabs Abgang ist da eine kreative Leerstelle.“ Ja, ein Querkopf wie Stefan, der sollte es sein, der ein Talent – gerne auch ein bekanntes – zum nächsten ESC schickt. Warum also nicht mal gerockter Country von den Boss Hoss, gemischt mit einem Bossa Nova von Michel van Dyke? Es gibt so viele kreative Köpfe in der deutschen Musikszene, die abseits vom rechten Gedankengut eines Xavier Naidoo oder pietätlosen Bandnamen, die außer Feuerwerk nichts hinbekommen, Musik erschaffen. Ja, warum denn nicht ein wenig Blind Guardian, vermischt mit etwas Kraftwerk oder gar eine Fusion aus Glasperlenspiel und Fury in the Slaughterhouse?
Mehr als 500 Jahre soliden musikalischen Schaffens können doch in Deutschland nicht bei Helene Fischer, Andrea Berg oder dem Wendler zu Ende sein?! Sollten wir beim ESC mal wieder Fuß fassen wollen muss das undurchsichtige Konglomerat aus Verantwortlichen bei der ARD endlich die Scheuklappen ablegen und richtige Musik zur Entfaltung bringen. Seit Nicole und dem marodierend-dekadenten Gesülze von Ralph Siegel und Bernd Meinunger sind über 30 Jahre vergangen – kein Grund mehr an zu süß mariniertem Einheitspop festzuhalten. Vor allem nicht im internationalen Vergleich! Und Stimmen, gute Stimmen, gibt es in Deutschland ebenfalls wie Sand am Meer – Levina hat eine solche. Doch mit dem falschen Song wird das einfach nichts…